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Warum Heidegger der Feldweg ein Ausweg war, als er mit seiner Kamera das Sein suchte

Ein philosophischer Aufruf, sich auf photographische Feldwege zu begeben


Zuerst kann man fragen, ein Ausweg wovon? Heidegger beginnt 1953 seine kleine Handvoll Seiten des 'Feldweg' Textes mit einer möglichen Antwort darauf, denn "wenn die Rätsel einander drängten und kein Ausweg sich bot, half der Feldweg." Es scheinen die ontologischen Rätsel des Daseins ihn auch als Erwachsenen auf diesen besonderen Feldweg geführt zu haben.


Demgegenüber lesen sich seine ersten Absätze wie eine melancholische Kindheitsbeschreibung. Der kleine Martin ritzt mit seinem Bruder Holz aus Eichenrinden, um kleine Boote zu schnitzen, die sie gemeinsam in Bächen schwimmen lassen. Während sein Vater als Meßkircher Küfermeister (alter Name für einen Handwerksberuf, der die Fertigung hölzerner Fässer zum Inhalt hat) im Wald beim Holzfällen, und in seinen Pausen als Mesner bei den Glocken der Turmuhr anzutreffen ist.


Rilke sehr ähnlich in seinen Versen über die Kindheit, in denen wir als Erwachsene in jene Bilderfolgen eingefügt werden, in welchen nun zu dauern uns vielleicht verwirrt, wussten für Heidegger "jene Fahrten des Spieles (...) noch nichts von Wanderungen, auf denen alle Ufer zurückbleiben." Derlei tief schwingende Wahrnehmungen haben Heidegger vermutlich die despektierliche Bezeichnung eines Seins-Mystikers eingehandelt.


'Der Feldweg', Regensburg, 2009 © Dr. Christine Lehr

Das mag dem kreativen Feldweg-Photographen allerdings maßgeblich zur Inspiration gereichen! Wenn da Eichen am Rande des Feldwegs zu sprechen beginnen, oder der Feldweg selbst vom "Rätsel des Bleibenden" erzählt - "Das Einfache verwahrt das Rätsel des Bleibenden und des Großen." So wie sich die Eiche der Weite des Himmels öffnet und gleichzeitig in das Dunkel der Erde wurzelt, könne auch der Mensch nur wachsen, wenn er sich gemäß "dem Anspruch des höchsten Himmels und aufgehoben im Schutz der tragenden Erde" verortet.


Doch wachsen - das scheinen die wenigsten zu wollen. Heidegger zeichnet ein missmutiges und doch zeitloses Bild von Zerstreuten, denen das Einfache einförmig erscheint. "Das Einförmige macht überdrüssig. Die Verdrießlichen finden nur noch das Einerlei. Das Einfache ist entflohen. Seine stille Kraft ist versiegt." Dabei sind es weniger einfache, sondern vielfältige Motive, die den 'Feldweg' in den Angeln halten. Die Glocken der Turmuhr der nahen Ortschaft zum Beispiel, die etwas von der viel beschworenen Zeit und Zeitlichkeit anklingen lassen. Oder das Ineinandergreifen der Jahreszeiten, die in ihren Gegensätzen miteinander im Echo des Feldwegs hörbar werden.


Genau darin mag sich Heideggers Mystik bekunden (und ehe man sich's versieht, beginnt man selbst zu "heideggern") - im kunstvoll versprachlichten Zusammenhang von Einheit und Vielheit. Heideggers 'Feldweg' liest sich wie ein Gedicht von Rilke in Prosa, oder aber jahreszeitliche Verse von Lao Tse. Die Perspektivität seiner Sprache, dass Bäume sprechen, und der Feldweg dem Menschen zuspricht, erinnert im besten Fall an unsere Eingelassenheit in diese auch kosmologischen Zusammenhänge.


Und schliesslich bleibt Heidegger nicht bei seinem tristen Ausblick versiegter Kräfte und entflohener Einfachheit. Besonders wenn er bunt die Jahreszeiten schildert, vernimmt er trotz der Gegensätze einen "einzigen Einklang, dessen Echo der Feldweg schweigsam mit sich hin und her trägt, (der) alles verheitert. Die wissende Heiterkeit ist ein Tor zum Ewigen. Seine Tür dreht sich in den Angeln, die aus den Rätseln des Daseins bei einem kundigen Schmied einst geschmiedet worden."

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