Mit Kant photographische Spuren des eigenen Inneren entbergen
Stellen Philosophen die Frage, wie man überhaupt Erfahrung machen, wie man etwas wissen kann, antworten prominente Königsberger Geister mit den Kategorien von Raum und Zeit. Innerhalb dieser sog. Anschauungsformen können wir etwas wissen. Sie seien Voraussetzung, damit wir Erfahrungen machen können. Der Clou bei Kant ist, dass diese Sphären nicht außerhalb von uns existieren, sondern als Strukturen in unserem Bewusstsein den Rahmen vorgeben, innerhalb dessen wir etwas erkennen können.
Unser Erkenntnisapparat hängt für Kant also in den Angeln von Raum und Zeit. Für den philosophisch motivierten Photographen ein ergiebiger Gedanke, denn wenn man Dinge nur in ihrem Raum und ihrer jeweiligen Zeit erkennen kann, nicht die 'Dinge an sich', sind meine Photos dann Abbilder der jeweiligen Raum-Zeit Atmosphäre? Das wäre für die Photographie einerseits nichts Neues, und auch irgendwie ernüchternd. Ein Hund in Raum und Zeit, vor einem Hund aus Stein, im Sommer 2009 den Auslöser gedrückt.
![](https://static.wixstatic.com/media/a7146e_dfe040e5a17c4931b0e1e0d5434c91e0~mv2.jpg/v1/fill/w_980,h_1465,al_c,q_85,usm_0.66_1.00_0.01,enc_avif,quality_auto/a7146e_dfe040e5a17c4931b0e1e0d5434c91e0~mv2.jpg)
Doch was, wenn man sich auf die Suche nach dem 'Ding an sich' macht? Wie kann man etwas sichtbar machen, das nicht in Raum und Zeit ist? Nicht unbedingt einen Hund 'an sich'. Eher ein besonderes Ding, das gar kein Ding mehr ist, weil es nicht in Raum und Zeit ist. Ist vielleicht so etwas wie die menschliche Seele jenseits von Raum und Zeit? Schliesslich reisen wir in unseren Träumen über Kontinente, zu anderen Planeten sogar, und erleben dort Zeit, die unsere Wachrealität auf den Kopf stellen würde.
Vielleicht ist unsere Seele als etwas außerhalb von Raum und Zeit Seiendes nicht direkt in Photos abbildbar. Dabei möchte man Photos doch in vielen Fällen nicht ihre 'Seele' absprechen. Mein detektivisches Seelen-Experiment geht so: Wenn da diese 'Dinge an sich' existieren, sie sich aber wie Geister nicht auf Photos bannen lassen, dann doch unter Umständen ihre Spuren. Zeit kann behilflich sein, diese Spuren ausfindig zu machen.
'Raumzeit', Regensburg, 2009 © Dr. Christine Lehr
So erkenne ich vielleicht in der Sichtung alter Photographien etwas, das heute nicht mehr da ist. Ein Faible für bestimmte Farben, Kompositionen, Sichtweisen, was etwas über meine eigene Seelenbewegung durch die Raumzeit hindurch erzählen kann. Oder ich nehme neue Elemente und Perspektiven in den eigenen Photos neueren Datums wahr, die ehemals noch nicht da waren.
Wo Kant streitbar und die Rede von einer Seele auch fraglich sein mögen, dienen derlei philosophische Meditationen als detektivische Inspiration, die Sammlung eigener Photographien in Raum und Zeit zu verorten, um etwas aus ihnen zu entbergen, das nur jenseits dieser 'Anschauungsformen' existiert und sich uns nur als Spuren zeigt.
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