Jon Kabat-Zinn: Mit Achtsamkeit von der Katastrophe in die kreative Stille
Es donnert und stürmt, Blitze erhellen zuckend eine Strasse. Zäune sind eingerissen, Menschen rennen aus einem brennenden Haus, Wildschweine rasen grunzend über Gehwege, Mülltonnen sind umgekippt, ein kleines Kind weint bitterlich in einem Vorgarten, Flammen springen auf Nachbarhäuser über, Autos liegen auf der Seite, dunklere Wolken formieren sich, der Sturm heizt die Katastrophe an.
Ein lautes und hyperbolisches Bild für den Geisteszustand vieler Menschen. Wo ist die Stille? Ist sie in der Welt, auf die ich warte. Und solange es stürmt und donnert, adaptiere ich die Katastrophe, und es donnert auch in mir? Oder ist die Stille vielleicht etwas, das ich unabhängig von äußeren Umständen in mir selbst kultivieren kann? Und was hat eine solche Geisteshaltung mit photographischer Kreativität zu tun?
'Full Catastrophe Living' ist der Titel eines Buches von Jon Kabat-Zinn aus dem Jahr 1989. Umfänglich wie eindrücklich beschreibt der amerikanische Mediziner und Wegbereiter von MBSR (mindfulness based stress reduction) darin, was es mit körperlichem und geistigem Stress auf sich hat, und wie Achtsamkeitstechniken für die Beruhigung einer möglichen, inneren Katastrophe sorgen können.
![](https://static.wixstatic.com/media/a7146e_0e9c9bc74aec4c409223844da3f82d82~mv2.jpeg/v1/fill/w_980,h_656,al_c,q_85,usm_0.66_1.00_0.01,enc_auto/a7146e_0e9c9bc74aec4c409223844da3f82d82~mv2.jpeg)
'Entropie', Regensburg, 2009 © Dr. Christine Lehr
Damit sei nicht suggeriert, dass bei Photographen die Häuser brennen, vielmehr dass sich achtsame Techniken nicht nur zur Stressreduktion eignen, sondern auch, um Kreativität aus einer Sphäre der Stille zu kultivieren. Wenn Kreativität etwas ist, das nur in der Stille erblühen, genuin Neues nur in einer entspannten Atmosphäre gedeihen kann, lohnt ein Blick auf Techniken der Achtsamkeit.
Kabat-Zinn beispielsweise schlägt eine Art Tagebuch vor, um zunächst in Kontakt mit seiner inneren Sphäre zu kommen. Täglich kann darin dokumentiert werden, welche angenehmen oder unangenehmen Erfahrung man hatte und welche physischen und psychischen Phänomene sie jeweils begleiteten. Wer an dieser Stelle neugierig geworden ist, wie sich diese achtsame Beobachtungshaltung für die photographische Kreativität fruchtbar machen lässt, dem sei ein Blick auf die Mindful Photography Workshop Seite empfohlen.
Schliesslich führen derlei Übungen nicht nur zu sich selbst, sondern auch in die Stille - Satt blauer Himmel, die warme Nachmittagssonne schickt weiche Lichtstrahlen durch die hohen Zypressen einer Allee. Kinder spielen lachend in ihrem Schatten. Menschen sitzen wohlig entspannt an einem See, Vögel tanzen und zwitschern lieblich durch den Schilf. Die Wasseroberfläche ist ruhig und spiegelt die an ihr entspannenden Gesichter.
Comments