top of page

Das Vertrackte an Zeitreisen oder wie Heidegger und Zhuangzi sich in Sils Maria treffen

Ethische Herausforderungen künstlicher Intelligenz für die fotorealistische Bilderstellung der Zukunft


Um nichts weniger als die Freude der Fische geht es - das ist ein Gleichnis Zhuangzis aus der Zeit von ungefähr 300 vor unserer Zeitrechnung. Zhuangzis Gleichnisse und abstrakt philosophische Sprüche gelten als die sprachgewaltigste und konsequenteste Formulierung taoistischen Gedankenguts in China. Und dasjenige über die Freude der Fische geht so:


Die Philosophen Zhuangzi und Hui Shi stehen auf einer Brücke.

Zhuangzi: Sieh, wie die Elritzen umher schnellen! Das ist die Freude der Fische!

Hui Shi: Du bist kein Fisch, wie kannst du um die Freude der Fische wissen?

Zhuangzi: Im Grunde wußtest du, daß ich weiß, und fragtest doch. Gleichviel.

Ich weiß es aus meiner eigenen Freude über dem Wasser.


Dieses Gleichnis reiste zweitausend Jahre durch die Zeit, bis ins Jahr 1930. Als Martin Heidegger in einem anschließenden Gespräch nach einem Vortrag an der Universität Bremen etwas über Intersubjektivität sagen möchte, lässt er sich Zhuangzis Buch bringen. Er liest daraus das Kapitel über die Freude der Fische.

Martin Heidegger und Zuhangzi meditieren am See in Sils Maria, 2023

Idee: Dr. Christine Lehr, Umsetzung: Midjourney, Copyright: undefiniert


In der Gegenwart eines Sommerabends 2023 treffen sich beide in Sils Maria, um am See gemeinsam zu meditieren - bevor es dunkel wird. Ermöglicht wurde dieses Treffen durch Midjourney, eine "künstliche Intelligenz", um deren Macher herum es in diesen Tagen dunkelt. Künstler und Photo Agenturen besonders bisher in den USA gehen auf die Barrikaden.


Doch zunächst - Wie funktioniert überhaupt die Bilderstellung mit Hilfe von KI? Midjourney zum Beispiel ist wie ChatGPT eine prompt-basierte Chat Oberfläche, das bedeutet, dem Anwender wird ein Textfeld bzw. prompt zur Verfügung gestellt, in das er eine Anweisung in der folgenden Form eingeben kann - Heidegger und Zuhangzi meditieren gemeinsam am See in Sils Maria, Abendstimmung, als Photo geringer Schärfentiefe, 50mm Brennweite Objektiv, cinematischer Look, Licht von der Seite etc.


Es werden vier Versuche ausgeworfen, die dieser Anweisung mehr oder weniger entsprechen. Diese Bilder lassen sich noch weiter modifizieren, der Prompt um Details erweitern. Der Ideen Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Bewerkstelligt wird diese Bildgenerierung, hier liegt die Freude der Fische begraben, durch einen Rückgriff auf Medien, die online von menschlichen Künstlern sichtbar sind.


Midjourney generierte Bilder von Papst Fraziskus, Quelle: NZZ / reddit


Die Kunst in ihrer Urheberschaft steht also auf dem Spiel. So pochen einerseits und primär diejenigen Künstler, an deren Werken sich KIs unerlaubt bedienen, gerichtlich auf eine dreiste Verletzung intellektuellen Eigentumsrechts. Wohingegen Kreative wie Kris Kashtanova das Urheberrecht für ihre mit KI generierten Werke einfordern.


Mit Hilfe von Midjourney erstellte sie Bilder, um sie zu einem 18-seitigen Comic zusammenzustellen, und erhielt das Copyright für ihr Projekt. Es dauerte allerdings nicht lange, und das US Copyright Office entzog ihr die Rechte an den Bildern im Frühjahr 2023 wieder, mit der Begründung, die Bilder entstammen keiner menschlichen Autorschaft. Die Behörde ließ ihr jedoch die Rechte an Plot und Anordnung der Bilder.


Im europäischen Raum hat eine rechtliche Einordnung solcher Phänomene noch nicht stattgefunden. Inwiefern man die Beanspruchung umfassender Urheberschaft für KI generierte Projekte als ebenfalls dreist oder innovativ einschätzt, bleibt entsprechend zu klären.


Zugegeben, in keiner der von Midjourney im Februar 2023 ausgeworfenen Varianten besteht Ähnlichkeit zu unseren zwei Zeitreisenden. Das ist allerdings nur noch eine Frage der Zeit, wie man am prominent gewordenen "Photo" von Papst Franziskus als Rapper in Daunenjacke erkennen kann, das seit Ende März 2023 kursiert.


Spätestens und zu allem Überdruss geht es seitdem auch um einen Realitätsanspruch, der besonderes auf politisch-journalistischem Terrain verlässlicher Kennzeichnungen bedarf, um zukünftig ein KI Bild von einem "echten" Photo unterscheiden zu können. Insofern werden schon jetzt Forderungen laut nach etwaigen digitalen Wasserzeichen, und einer Integration dieses Themas in das Bildungssystem, um einen weit kritischeren Umgang mit Medien zu gewährleisten.


Boris Eldagsen links, das SWPA Preis-Bild rechts , Copyright: A. Schwander, 2023


Diese notwendige Diskussion stieß im Frühjahr 2023 bereits der Berliner Photograph Boris Eldagsen an. Indem er ein besonderes Photo in der Kategorie "Open Creative" für den Sony World Photography Award einreichte. Ein KI-generiertes, jedoch nicht als solches gekennzeichnetes Bild. Prompt gewann er den für die Branche äußerst wichtigen Award. Eldagsen lehnte den Preis ab, um eine Debatte gegen die "Promptografie" in Gang zu setzen.


Eine brisante Debatte, denn die Branche bangt in Zweigen um ihr Überleben. Diese sogenannte Promptografie scheint es möglich zu machen, ein ansonsten sehr aufwändiges Film- oder Photoset mit einem prompt, wie dem folgenden zu ersetzen - Catherine Deneuve unternimmt auf einer Pariser Brücke eine Zeitreise, mit Gesichtern ihrer ikonischen Nouvelle Vague Filme begegnet sie in jeder Szene neu, bis wir in der Gegenwart ankommen. Mit diesem Werbefilm legt Cartier International eindrücklich vor, wie KI auch in der Filmbranche längst Einzug gehalten hat.


Ist nun das Zeitalter der Wahrheit vorbei? Zeitreisen nicht nur nach Paris und Sils Maria möglich? Die Freude der Fische erfolgreich repliziert und der Fisch selbst nun überflüssig? Bedeuten zehn Millionen Nutzer von Midjourney schrumpfende Aufträge für Photographen? Bedarf das Urheberrecht dringlich einer Reform? Wie können wir unterscheiden zwischen "echten" und nicht "echten" Bildern? Was machen wir mit den Geistern, die wir riefen?

Commentaires


bottom of page